Lady Blackbird – „Black Acid Soul“ – VÖ: 04.02.2022

Lady Blackbird„Black Acid Soul“

„No place big enough for holding / all the tears you’re gonna cry / ’Cause your mama’s name was lonely / and your daddy’s name was pain / And they call you little sorrow / ‚cause you’ll never love again / Why you wanna fly Blackbird / you ain’t ever gonna fly” – ‚Blackbird’ (Nina Simone/Herbert Sacker, 1963)

Lady Blackbird hatte nicht die Absicht, einen Soundtrack für eine ganze Revolution zu liefern. Aber im letzten Frühjahr ist genau das passiert, als die in Los Angeles lebende Sängerin Marley Munroe am 27. Mai 2020 ihre Debütsingle veröffentlichte.

„Eine mutige Seele in der Tat, die nicht nur eines von Nina Simones stärksten Liedern, ‚Blackbird‘, in Angriff nimmt, sondern sich obendrein auch noch Lady Blackbird nennt“, schrieb Blues and Soul damals. „Im Original kommt der Song mit reduziertem Gesang, Klatschen und Handtrommeln daher – ein feldschreierischer Protestsong, der jedem das Herz verdunkeln wird. Lady Blackbird, die mit demselben eindringlichen Appeal daherkommt wie Simone, fügt dem im Wesentlichen ein Acappella-Song ihre ganz eigene ihr innewohnende Magie und ihren kraftvollen Spirit hinzu. Majestätische Anmut trifft auf das außergewöhnliche Talent einer scharfsinnigen und zugleich raffinierten Sängerin, die in ihren Songs nicht davor zurückschreckt, auch Untergang und Verzweiflung auszudrücken.“

Simone veröffentlichte „Blackbird“ im Jahr 1963 auf dem Höhepunkt des Bürgerrechtskampfes. Fast sechs Jahrzehnte später verlieh die Ermordung von George Floyd, zwei Tage vor der Veröffentlichung von Lady Blackbirds Version des Songs eine zufällige, aber nicht weniger starke, schreckliche und doch erhebende Kraft. 

„Es gab so viele Emotionen“, reflektiert Lady Blackbird jetzt über die Aufnahme, die sie zusammen mit dem Grammy-nominierten Produzenten Chris Seefried im legendären Studio B (aka ‚Prince’s room‘) in LA’s Sunset Sound aufgenommen hatten. Jazz, da gibt es für sie keinen Zweifel, hat Protest in seiner DNA.

„Letztendlich tue ich, was ich tue, um zu unterhalten, nicht um irgendeine Art von Anführer zu sein. Das ist eine riesige Verantwortung. Ich möchte die Menschen unterhalten und sie berühren. Aber so eine Plattform zu haben und Menschen, die bereit sind, dir und deiner Musik zuzuhören – das ist mit Verantwortung verbunden – genau wie auch, die Gelegenheit zu nutzen, um deine Ansichten zu teilen.“

„Blackbird“ war bereits ein paar Monate vor den Ereignissen aufgenommen worden. 

„Unglücklicherweise – und auf eine verabscheuenswerte Art – passte der Song im letzten Frühjahr so verdammt gut“, fährt Lady Blackbird in ihrer für sie typischen beseelten Wildheit fort, die sie auch auf der Bühne zu einer wundervollen Erscheinung werden lässt.  

„Es war immer einer meiner Lieblingssongs von ihr. Ich konnte ‚Blackbird‘ stundenlang über meine Kopfhörer hören, konnte ihn regelrecht fühlen und vollkommen darin eintauchen. Ich stellte mir vor, wie ich ihn auf der Bühne singen würde – das machte ich oft. Ich schließe meine Augen und stelle mir vor, wie ich bestimmte Songs auf der Bühne interpretiere. Und ich dachte: Diesen Song muss ich einfach machen.“

Lady Blackbird ist nicht die ‚Nina Simone der Black Lives Matter-Ära‘ (nein, so würde sie sich sicher nicht bezeichnen). Aber sie ist das Talent, die Naturgewalt und die ausdrucksstarke Persönlichkeit, die Gilles Peterson als ‚die Grace Jones des Jazz‘ bezeichnet hat – eine lobende Anerkennung, die durch die Remixe ihrer letzten Single „Collage“ von den Jazz- und House-Schwergewichten Bruise, Greg Foat und KDAeindrucksvoll untermauert wird.

Und sie ist eine Frau, die sich flexibel zeigt, wie man an der atemberaubenden Version von Tom Pettys „Angel Dream“ sehen kann, die sie auf dem virtuellen Tribute performte, das im letzten Oktober zu Ehren des 70. Geburtstages des verstorbenen Musikers stattfand. 

Wir können sie auch einfach als die beste neue Stimme des Jahres 2021 bezeichnen, die Stimme einer übersinnlich erscheinenden Interpretin alter und neuer Songs – einer Künstlerin, deren Herangehensweise, Ausblick und Stimmung sich im Titel ihres faszinierenden kommenden Debütalbums widerspiegelt:

Black Acid Soul.

Reduziert und doch reichhaltig, klassisch und doch zeitgemäß ist das Album, das sich rückblickend mit Miles Davis verbindet (dessen Pianist, Deron Johnson, überall Steinway Baby Grand, Mellotron und Casio Synth spielt) und mit dem Blick nach vorn zum einen mit Pete Tong (er machte 2020 den Bruise-Mix von „Collage“ zu seinem Nummer Zwei Essential Selection Tune des Jahres) und zum anderen – ja, mit Victoria Beckham, denn Matthew Herberts Remix der zweiten Single „Beware The Stranger“ untermalte die Frühjahr/Sommer 2020 Fashion Show der Designerin.


Elf Tracks, die den Sound, das Gefühl und die Attitüde von Lady Blackbird widerspiegeln, die von tiefen musikalischen Erfahrungen zeugen, die bis in ihre Kindheit zurückreichen.

„Ich kann mich nicht erinnern, jemals nicht gesungen zu haben“, sagt sie und denkt an all die Auftritte in der Kirche und auf Messen, seit sie fünf Jahre alt war. „Das war es, was ich konnte, und ich wollte auch gar nichts anderes machen.“

In ihren frühen Teenagerjahren war Lady Blackbird unentwegt in Nashville und wurde schließlich von einem christlichen Label unter Vertrag genommen, doch das Einzige, was jemals daraus resultierte, war Musik mit der Rock/Rap-Gruppe DC Talk. Man ging also wieder getrennte Wege. Was blieb, war die Zusammenarbeit mit dem ehemaligen DC Talk-Mitglied TobyMac – sie erschien auf seinen ersten vier Soloalben und tourte mit ihm.

„Doch ich erkannte, dass diese ganze christliche Welt, in die mich meine Eltern zu stecken versuchten, so verdammt weit weg von dem war, wer ich war. Ich wollte keine christliche Musik machen, ich glaubte nichts von dem, was sie taten, also beendete ich die Tournee.“

Schon mit ihren 16 Jahren eine kluge junge Seele, die sich dann jedoch „in der Vorhölle wiederfand, denn ich war in diesem Vertrag gefangen, bis ich 18 war“.

Sobald sie vor dem Gesetz erwachsen und frei war, zog sie nach New York und flog immer wieder zu Sessions nach LA. Dort arbeitete sie mit Jimmy Jam, Terry Lewis, Sam Watters, Louis Biancaniello, Tricky Stewart und The Heavyweights. Ein Produktionsvertrag führte zu einem Plattenvertrag mit LA Reids Epic. Aber kreative Differenzen führten schon bald dazu, dass man sich wieder trennte.

Also endete der Deal „und es hieß für mich zurück ans Reißbrett und mit anderen Leuten arbeiten“. Einer von ihnen war Seefried, der – einst ein Künstler – nun als Autor und Produzent arbeitete und für seine Arbeit am Debütalbum von Andra Day (die bald als Billie Holiday in der Filmbiografie ‚The United States Vs. Billie Holiday‘ zu sehen sein wird) für einen Grammy nominiert worden war.

Als er Lady Blackbird kennenlernte, dachte er: „Wow, ich arbeite tatsächlich mit den besten neuen Sängern zusammen, die es gibt – Andra und Lady Blackbird sind zwei der großartigsten Sängerinnen auf dem Planeten.“

Lady Blackbirds Sichtweise dazu war: „Ich habe seinen Scheiß geliebt!“, johlt sie – sichtlich erleichtert, endlich einen musikalischen Partner gefunden zu haben, der sie versteht. „Chris hat mir zugehört und gefragt, ob ich diesen oder jenen Vibe fühle. Er war in der Lage, sich in das hineinzudenken, was ich fühlte. Und dann hat er ein paar erstaunliche Sounds ausgearbeitet. Es hat einfach gepasst zwischen uns.“

In Seefrieds Studio in L.A. nahmen sie sich Zeit, um herauszufinden, welcher musikalische Weg am besten zu ihr als energiegeladene Künstlerin passte. Als sie schließlich auf die Idee kamen, alles einfach radikal zu reduzieren, „knackten wir den Code“.

„Ich hatte einen Song geschrieben, ‚Nobody’s Sweetheart‘, eine Art Jazz-Ballade, und bat sie um eine Gesangseinlage“, erklärt Seefried„Ich legte ihr die Melodie vor – es ist ein ziemlich kompliziertes Stück Musik – dann spielte ich es noch einmal. Und sie sagt: ‚OK, ich hab’s verstanden.‘ Und in zwei Takes war es vollbracht, live. Sie ist ein echtes Naturtalent, das diese Musikalität intuitiv in sich trägt.“

Als er anfing, den Song Leuten vorzuspielen, hielten sie abrupt inne. „.. und als ich es meinem Therapeuten vorspielte, fing er sogar an zu weinen. Wenn man es schafft, einen Therapeuten zu weinen zu bringen, dann weiß man, dass man auf dem richtigen Weg ist“, lacht Lady Blackbird.

„Nobody’s Sweetheart“, eine traurige, elegante und zugleich schlichte Melodie, war ebenfalls ein Wegbereiter-Song. Es war der erste, den sie zusammen aufnahmen – auf dem fertigen Album übrigens mit einem wunderschönen Trompetensolo des großen New Orleans-Virtuosen Troy „Trombone Shorty“ Andrews. Nachdem sie zunächst an großen Pop-Krachern gearbeitet und bis aufs Letzte alles aus sich herausgeholt hatten, gruben sie nun in reiner Muttererde – gingen ganz tief hinein, ließen sich einfach gegenseitig machen und Lady Blackbirds Stimme erstrahlen.

Durch diesen neuen puristischen Ansatz wurde die Bühnenpersönlichkeit der Sängerin – ein stolzes Mitglied der LGBTQ+-Community – in keinster Weise geschmälert. Was auch ohnehin gar nicht möglich wäre: „Ich liebte meine übertriebenen Kostüme und all den aufwendigen Scheiß auf der Bühne. Chris hat mich davon überzeugt, dass wir Jazz sein und trotzdem all das beibehalten können.“

Es sei genug damit gesagt, dass er verblüfft war, als Seefried „Nobody’s Sweetheart“ Ross Allen vorspielte – dem britischen Labelchef, DJ und Vinyl-Schatzsucher der Lady Blackbird bei seinem neuen Verlag Foundation Music unter Vertrag genommen hat.

„Ich zeigte ihm auch dieses Bild von ihr, das Bild dieser charakteristischen Frau auf der Bühne. Man sah sie nur von hinten, sie trug dieses unglaubliche Kleid und eine Pattie LaBelle-Kopfbedeckung. Und Ross sagte: ‚Das ist wie sie singt und aussieht? Fucking hell!'“

„Ja, das war mein Arsch!“, ruft sie erfreut. „Arsch raus, immer!“

Man kann ihre Persönlichkeit in dem Song „Collage“ richtiggehend hören. Ein Song, der sofort ins Ohr geht und der Lady Blackbirds Interpretation des „fucking quirky“ Originals von James Gang ist – ein gefühlvoller Psych-Rock-Song aus dem Jahr 1969.

Eine weitere inspirierte Neuerfindung ist das aus der Feder von Tim Hardin stammende „It’ll Never Happen Again“, das erstmals auf dem wegweisenden Debüt der Folksängerin aus dem Jahr 1966 erschien. Unverblümt wie immer gibt Lady zu: „Das war eines der Stücke, die ich anfangs nicht mochte. Nicht, dass es langweilig war, ich wusste nur nicht, was ich damit anfangen sollte – wie ich ihm Kraft oder Persönlichkeit verleihen könnte. Aber dann habe ich es einfach ausprobiert und was soll ich sagen – es war eine wunderschöne Session. Letztlich ist es eines meiner Lieblingsstücke auf dem Album geworden. Es klingt einfach magisch.“

Der Spirit von Abenteuer und Entdeckung ist auch auf „Beware The Stranger“ zu hören. Es ist eine Neuauflage der Rarität „Wanted Dead or Alive“ – ein Groove-Klassiker, der 1973 vom Funk/Gospel-Kollektiv Voices of East Harlem aufgenommen und von Curtis Mayfield mitproduziert wurde.

„Es ist eine Version einer Version!“ lacht sie. „Wir haben den Titel geändert, das Geschlecht, alles! Aber auch hier war es so, dass ich es mir schichtweg nicht vorstellen konnte, als ich ihn zum ersten Mal hörte. Doch dann fiel Chris das Chorstück am Ende auf und schlug vor, dass wir damit anfangen. Zunächst bauten wir den Chor nur mit meiner Stimme nach. Durch den Gothic-Sound wurde er auf einmal dunkel und gefährlich, was mir sehr gefiel und alles weitere passierte irgendwie einfach so. Als wir dann in Richtung Jazz aufbrachen, ging es eigentlich nur noch darum, den Vibe von Kind of Blue, Love Supreme einzufangen.“

Abgerundet wird das Album durch die beiden absoluten Killer-Stücke „Fix It“ und „Five Feet Tall“ – geschrieben von Lady Blackbird und Seefried. Ersteres ist eine elegante Klavierballade, die wie ein Standard aus dem Great American Songbook klingt, der von einer Frau an der Seite der Engel gesungen wurde. Ihre Fähigkeit, den Song im Studio in minimalen Takes einzufangen, war eindeutig etwas Besonderes.

„Deron hatte sie vor der Session noch nie getroffen“, erzählt Seefried„und sie nahm ‚Fix It‘ im gewohnten Lady Blackbird-Modus auf. Und er meinte: ‚Verdammt, sie ist wie eine künstliche Intelligenz! Sie ist wie ein Avatar! Das ist surreal!'“

„Black Acid Soul“ – dem gleichnamigen Titeltrack, der auch das Album schließt – wohnt sowohl der von Seefried beschriebene „Jackson Pollock-Jam“ inne als auch der mantrische Soul, der an die Hot Buttered Soul-Ära von Isaac Hayes erinnert. Lady Blackbird erklärt, wie der Song zum Titel und dann wiederum zum Vibe wurde: „Wir benutzten den Hashtag #blackacidsoul, als unser Subgenre der Musik. Es umfasste einfach alles, was wir gemacht haben. Es zementierte all diese Ideen und Genres in diesem von uns erfundenen Scheiß!“

„Und weil ‚Blackbird‘ ein so großartiger Start in das Album ist – weil es dunkel und brutal wird und dann in eine spirituelle Richtung geht – wollten wir das Album mit einer weiteren Variation von Acid Soul beenden. So wurde daraus am Ende der Titeltrack.“

Das ist „Black Acid Soul“ und damit gleichzeitig das erste bedeutsame Album des Jahres 2021. Sind Sie bereit, mit Lady Blackbird abzuheben?


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