The Kooks – „10 Tracks To Echo In The Dark“ / VÖ: 22.07.2022

Blickt man zurück auf das gewaltige Feld der Indie-Bands, die in den Nullerjahren tonangebend waren, hat sich dieses Bild zuletzt ganz schön ausgedünnt: Viele davon sind längst verschwunden – und man muss entsprechend lange suchen, um eine Gruppe zu finden, die auch nach 15 Jahren noch neue Karrierehöhepunkte verzeichnen kann. Dabei war genau das der Punkt, an dem The Kooks vor vier Jahren standen. 

Gerade erst von einer internationalen Stadiontour zurück, erstürmte die Band aus Brighton 2018 abermals die britischen Top-10 mit dem Albumvorgänger Let’s Go Sunshine, um anschließend wieder überall ganz oben auf den Plakaten der größten Festivals in ganz Europa zu stehen. Der jüngste Streaming-Boom hatte der Band sogar noch mehr (und auch viele jüngere) Fans beschert, die ihren einzigartigen Indie-Rocksound nun endlich auch mal live erleben wollten. 

Frontmann Luke Pritchard hatte, als der lange und gnadenlose Tourplan dann endlich abgehakt war, eigentlich erst mal eine kurze Verschnaufpause geplant. Trotzdem fand er sich schon wenig später erneut in einem Studio wieder … 

„Ich fing damit an, immer so drei, vier Tage am Stück in Berlin zu verbringen. Ich war echt betroffen vom Brexit und wollte schon auch ein Statement machen, indem wir eine europäische Platte aufnehmen“, berichtet er. „Wir sind eine europäische Band, wir haben da draußen praktisch überall gelebt. Wir lieben Europa einfach so sehr, dass wir diese Verbindung bewahren wollten.“

Berlin, das für Künstler:innen und Kreative aus aller Welt ja schon länger als eine Art Mekka funktioniert, hatte es ihm also angetan – und so tauchte auch Pritchard in die Kreativkreise der Hauptstadt ein und lernte dort nach und nach viele der Mitwirkenden kennen, die hinterher an 10 Tracks To Echo In The Dark, an diesem Monstrum von einem sechsten Album, mitarbeiten würden. Anstatt jedoch zu tief in die berüchtigte Partyszene der Stadt einzutauchen, ging’s tatsächlich ums Kreativsein, um die Arbeit mit vollkommen neuen Inspirationsquellen: „Ich hab auch keine Drogen genommen“, sagt Pritchard. „Eher mal ein Abstecher in die Absturzkneipe an der Ecke, eher eine Flasche Whiskey als Berghain.“

Die neue Umgebung entfaltete schon bald ihre magische Wirkung: „Über die Jahre haben ja schon viele Songwriter:innen in Berlin Zuflucht gefunden“, so Pritchard. „Es hat so etwas Freies, ist noch nicht ganz so zerfressen vom Kommerz. Ich war auf der Suche nach etwas Ruppigerem, Rauerem, nach etwas mehr Minimalismus. Manchmal schnappt man einfach diese Nuancen irgendwo auf. Und ich meine damit gar nicht mal unbedingt die Menschen, sondern den Ort selbst.“

Basierend auf einem neuen Mantra – nur nicht zu viel nachdenken; einfach die Art von Platte machen, die er selbst gerne zu Hause hören würde –, folgte schon bald eine Idee auf die nächste. Als Pritchard dann Tobias Kuhn als Co-Songwriter und Produzenten für weite Teile der LP an seine Seite geholt hatte, schrieben die beiden auch gleich in der ersten gemeinsamen Session die programmatische Leadsingle – „Connection“ –, die schon nach wenigen Stunden im Kasten war. Wenig später hatten die zwei auch schon fünf Stücke fertig, doch als dann im März 2020 der erste Lockdown kam, war’s erst mal aus mit Pritschards paneuropäischem Traum: Er musste Berlin verlassen und zurück nach Großbritannien. Es folgten weitere Sessions via Zoom, bis Tobias endlich doch nach London kommen konnte, um zusammen mit den anderen Jungs – Hugh Harris (Leadgitarre, Synthesizer, Bass) und Alexis Nunez (Schlagzeug) – die eigentlichen Aufnahmen zu machen.  

Obwohl die Platte letztlich an diesen zwei Orten entstehen sollte, spürt man die Berlin-Connection ganz klar im Verlauf von 10 Tracks To Echo In The Dark. Und obwohl sie auch mit ganz anderen Genres flirten – Synthie-Pop aus den Achtzigern, Funk, auch Prog-Elemente tauchen auf –, klingt das sechste Album unterm Strich immer noch wie ein astreines Indierock-Album. Eins mit unverwechselbarer Kooks-Handschrift. 

Tatsächlich versuchen sie mit der neuen LP auch gar nicht, das Rad neu zu erfinden. Stattdessen nehmen sie den klassischen Kooks-Sound und verpassen ihm einen dezent retro-futuristischen Anstrich – sowohl klanglich, als auch einfach gefühlt: in der ganzen Haltung, in der diese Songs entstanden sind. Es ist ein Album, das vor allem von Hoffnung handelt: sich diese Hoffnung zu bewahren, das Gute zu sehen in der Welt, egal wie düster sie gerade wirkt. Konkret geht’s mal um die große Liebe („Without A Doubt“, „Oasis“), mal ums Feiern als Schmerzmittel („Connection“), dann wieder um grausame Ex-Verflossene („Cold Heart“) – und ein Song ist sogar Pritchards Babysohnemann Julian gewidmet („Beautiful World“). Er kam etwas zu früh zur Welt, während die Band gerade in Mexiko auf Tour war. 

Inzwischen verheiratet und frischgebackener Vater, begegnet man auf dem Album einem anderen Pritchard – einem Sänger, der seine Dämonen offensichtlich abgeschüttelt hat und sehr viel zuversichtlicher klingt als früher. „Ich hoffe echt, dass man diese innere Ausgeglichenheit auch raushören kann“, sagt er über diesen neuen Optimismus, der einem im Verlauf des Albums immer wieder begegnet. „Ich will einfach Spaß haben und mein aktuelles Leben genießen. Doch andererseits spiegelt es auch gewissermaßen in Echtzeit wider, was ich für Gefühle hatte während dieser Zeit, angefangen in einer Welt vor Corona bis heute. Ich hab auch viele Science-Fiction-Autoren gelesen – Philip K. Dick, Asimov und so surreale Sachen wie Boris Vian –, was einen einerseits natürlich sehr gut ablenkt von dem, was in der wirklichen Welt gerade so los ist. Mir hat’s vor allem dabei geholfen, auf richtig krasse Ideen für die Songs zu kommen.“ 

Diese gereifte, geerdete und gesündere Perspektive steht ihnen gut – schließlich handelt es sich bei The Kooks um eine Band, die in den letzten 15 Jahren auch immer wieder mit ihren Problemen zu kämpfen hatte, alles bestens dokumentiert von der Presse. Da sie ja noch nicht mal 20 waren, als ihre ersten Songs in die britischen Top-20 gingen – („Naive“, „She Moves In Her Own Way“) – und schon das Debütalbum Inside In/Inside Out ihnen vierfaches Platin in der Heimat bescherte, waren sie anfangs wohl einfach noch zu jung, um den richtigen Umgang mit dem plötzlichen Superstarstatus zu finden … 

„Also mentale Gesundheit ist bei uns in der Band nun schon länger ein echt großes Thema … einfach, weil jeder von uns auf seine Art damit zu kämpfen hatte. Was jetzt nicht heißen soll, dass wir keine fantastische Zeit gehabt hätten, das nicht. Wir hatten an diesem ganzen Ruhm aber schon auch richtig zu knabbern, also so richtig. Und nicht selten haben wir auch einfach Fehler gemacht.“

„Wir sind in echt kurzer Zeit berühmt geworden und waren einfach charakterlich noch nicht so gefestigt. Es mangelte an persönlicher Stabilität, um davon nicht überwältigt zu werden. Jeder von uns hat auf seine Art ein paar richtig schlechte Entscheidungen getroffen, aber auch ein paar echt gute. Aber wir sind immer noch hier, was ja schon mal zeigt, dass wir’s geschafft haben, die Sache am Laufen zu halten und nicht vollkommen durchzudrehen. Allerdings habe ich absolutes Mitgefühl für jeden Menschen, der in irgendeiner Form berühmt wird.“ 

Wie bei den meisten Menschen, kommt dann irgendwann der Punkt im Leben, an dem man doch noch zur Ruhe kommt, sich in der eigenen Haut weniger unwohl fühlt und einfach weiß, welcher Weg der richtige ist. Zwar haben The Kooks über die Jahre auch immer wieder ihre experimentelle Seite präsentiert – am deutlichsten auf dem von Inflo produzierten Jazz-Funk-Album Listen von 2014 –, was sicher auch zur Langlebigkeit der Band beigetragen hat, doch dieses Mal ging’s für Pritchard vor allem um eine Rückkehr zur Essenz: zu dem Ding, das die Leute an The Kooks lieben – ganz gleich, ob das nun „ein 15-jähriger Teenie aus Südafrika ist oder irgendwer, der schon bei unserem allerersten Konzert mit dabei war.“ 

Das Resultat ist trotzdem kein Abklatsch und keine bloße Wiederholung: Man hört diese eingängigen, ansteckenden Kooks-Melodien, diese Riffs, allerdings über Synthesizer-Spuren und elektronischen Beats. Ja, sogar ein Saxofon blitzt gelegentlich auf, womit sie ihren Trademark-Sound locker ins Jahr 2022 überführen.  

„Indie – das ist so ein Wort, um das wir immer einen großen Bogen gemacht haben“, gesteht er. „Die Band hat ja viele ganz unterschiedliche Alben gemacht, aber trotzdem haben wir schon einen eigenen Style. Entscheidend war dieses Mal, einfach vor nichts wegzulaufen: Wir wollten einfach machen, was wir halt machen – nur noch besser, erweitert um ein paar frische Ansätze.“

Im Studio stellte er dann ein paar simple Regeln auf: nicht zu kompliziert sollten die Stücke sein, und richtig satte Old-School-Kooks-Riffs waren auch wichtig, „diese absolut klassischen Kooks-Sachen à la ‘Naive’, aber deutlich minimalistischer noch“. Dazu wollte er auch seine Stimmaufnahmen wieder bearbeiten, wie ganz zu Beginn in den Nullerjahren. „Ist jetzt nicht so, dass ich meine Stimme hassen würde. Eigentlich mag ich sie bloß nicht so. Je mehr ich sie also verschleiern kann, desto besser!“

Auch dank dieser Regeln ist 10 Tracks To Echo In The Dark ein absolut kohärentes Album geworden – das beides schafft: Ihre Wurzeln sind erkennbar, und es klingt trotzdem neu und aufregend. „Es gibt so Alben, da trifft man Entscheidungen, die mit der Sache selbst gar nichts zu tun haben, wodurch man sich dann irgendwann nur noch im Kreis dreht. Bei diesem Album ging’s aber gar nicht darum, alles zu zerschlagen und die Sache komplett neu zu erfinden. Als Zäsur war die Pandemie während der Aufnahmen eine gute Gelegenheit, sich mal wirklich intensiv mit all unseren Alben zu befassen – und auch einfach zufrieden zu sein mit der zurückgelegten Wegstrecke.“ 

Während immer mehr junge Fans den Sound von The Kooks für sich entdecken, fühlt sich 10 Tracks To Echo In The Dark vor allem wie ein Mission Statement an: Sie feiern damit die schwierigen Zeiten, die hinter ihnen liegen – und liefern eine lautstarke Parole für die Zukunft, die vor uns allen liegt. 

Vor allem hört man auf dem neuen Album eine Band, die ihren Karrierehöhepunkt noch vor sich hat. Sie liegen richtig, wenn sie ab sofort auf Zuversicht setzen, wenn sie darauf vertrauen, dass die Zukunft weniger düster sein wird. 

Okay, und was braucht man nun, um 15 Jahre lang als Band erfolgreich zu sein? Was ist der Schlüssel zum Erfolg? 

„Harte Arbeit“, sagt Pritchard. „Und eine ganz große Portion Glück.“ 


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